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Freitag, 21. März 2014

2. Leseprobe aus Pysanky in Buenos Aires - Ein Krimi-Märchen


Carmelita blinzelte. Blass fiel die Morgensonne durch das vorhanglose Fenster. Ihre große Schwester Sofía zog Carmelita das Hemd weg, mit dem sie sich in Ermangelung einer Bettdecke zugedeckt hatte.
»Zeit zum Aufstehen, Carmelita.«
Carmelita gähnte und rollte von ihrer gestreiften Matratze. Langsam trottete sie ins Bad und schlug halbherzig nach einigen der umherschwirrenden Fliegen. Vor dem fast blinden, fleckigen Spiegel kämmte sie sich sorgfältig.
Wieder zurück im Schlafzimmer, das sie sich mit ihren Geschwistern teilte, zog Carmelita sich rasch an. Dann holte sie eine kleine silberne Digitalkamera aus einem Fach des überquellenden, altersschwachen Kleiderschrankes. Dieser Schrank enthielt einen Großteil der Besitztümer der sechsköpfigen Familie und ächzte förmlich unter der Last von Kleidungsstücken, Schachteln, Dosen und anderen Gegenständen.
Mit einem leisen Pling schaltete sich die Kamera ein und auf dem Display erschienen Carmelitas nackte Füße und der staubige Fußboden. Sie kicherte und drehte an dem Rädchen, das sich oben rechts an der Kamera befand. Ihre Füße wurden größer. Gerade wollte Carmelita auf den Auslöser drücken, da wurde ihr der Fotoapparat aus der Hand gerissen.
»Das ist kein Spielzeug für kleine Kinder«, schimpfte ihr großer Bruder Jorge. Jorge war schon fünfzehn und durfte - wie Carmelita fand - alles. Carmelita war acht und durfte nichts. Zornestränen brannten hinter ihren Augen. Sie schluckte, wollte sich nichts anmerken lassen.
»Aber ich hab die Kamera gefunden«, protestierte Carmelita und wollte nach dem Fotoapparat greifen, der so hübsch silbern glänzte. Gut, das Gehäuse war ein wenig zerschrammt und das Display hatte einen kleinen Sprung, aber trotzdem erschien Carmelita die kleine Digitalkamera wie ein wertvoller Schatz. Ein Schatz, den sie gefunden hatte! Also wollte sie auch damit spielen!
Doch ihr Griff nach der Kamera ging ins Leere, Jorge hob sie hoch, außer Reichweite seiner kleinen Schwester. Ohne Carmelita eines weiteren Blickes zu würdigen, schaltete Jorge die Kamera aus und verstaute sie im obersten Fach des Schrankes, wo Carmelita nicht an sie herankam. Dann packte er Carmelita mit beiden Händen an den Schultern und schob sie vor sich her.
»Los jetzt, wir müssen zur Arbeit.«


Wenig später standen Carmelita, Sofía und Jorge im Zug, der sie in die Innenstadt von Buenos Aires brachte. An den meisten Tagen und Abenden sammelten sie Papier, Pappe und leere Plastikflaschen im Microcentro, die sie dann nach Gewicht an Recyclinghändler verkauften. Doch heute trugen sowohl Sofía als auch Jorge schwere Umhängetaschen, die vollgestopft waren mit Stadtplänen und Fremdenführern über Buenos Aires. Diese wollten die Geschwister heute in der Subte verkaufen.



Pysanky in Buenos Aires ist überall dort erhältlich, wo es eBooks gibt. Zum Beispiel bei amazon:
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Freitag, 14. März 2014

Leseprobe aus Pysanky in Buenos Aires - Ein Krimi-Märchen

»Buenas, Babuschka, Matrjoschka, Pysanky?«
Verwirrt hob Liliana den Kopf und sah die jungen Männer an, die vor ihr standen. Liliana war so in ihr Buch vertieft gewesen, dass sie die beiden nicht bemerkt hatte, bevor sie von ihnen angesprochen wurde.
»Cómo? Wie bitte?«
»Erlauben Sie, dass wir uns vorstellen: Mein Name ist Oleksandr und dies ist Sergey. Wir sind Missionare aus der Ukraine und für ein Jahr hier in Argentinien. Wir arbeiten für die Mission de la Santa Maria de la Cruz und um unsere Arbeit zu finanzieren, verkaufen wir Souvenirs aus der Ukraine.«
Oleksandr klappte die kleine Kiste auf, die er bis jetzt unter dem Arm gehalten hatte. Darin befand sich ein kunterbuntes Sammelsurium aus Holzpüppchen und Schmuckstücken.
Mit dem Finger tippte Oleksandr eine der kleinen grellbunt bemalten Holzpuppen an.
»Matrjoschkas, oft irrtümlicherweise auch als Babuschkas bezeichnet, sind ineinander schachtelbare Holzfiguren …«
Bevor Oleksandr weiter erklären konnte, winkte Liliana ab. Sie wusste, was Matrjoschkas waren, ihre Großmutter daheim in Amsterdam besaß einige Exemplare, die sie als Souvenir von Reisen mitgebracht hatte.
Aber die knallbunten Holzpüppchen entsprachen so gar nicht Lilianas Geschmack. So etwas würde sie sich nie daheim ins Regal stellen.
Und überhaupt … Ich kaufe doch hier in Buenos Aires auf der Straße keinen Russenkitsch, fuhr es Liliana durch den Kopf.
Während Sergey sich weiterhin in gepflegtem Schweigen übte, fischte Oleksandr einen Schlüsselanhänger heraus. Am Ende des Anhängers baumelte etwas, das wie ein Osterei aussah.
»Pysanky«, erklärte Oleksandr, »sind typisch ukrainische Ostereier, die mit einer komplizierten Batik-Technik eingefärbt werden. Diese kleinen Schmuck-Pysanky sind ein sehr schönes Geschenk. In unserer Heimat gelten sie als Glücksbringer.«
Liliana streckte die Hand aus und berührte das kleine bunte Osterei. Es war erstaunlich filigran gearbeitet und hing an einer kurzen roten Kordel, an deren anderem Ende ein Karabinerhaken befestigt war.
»Glücksbringer?«, fragte sie nach. Vielleicht war das wirklich ein hübsches Geschenk. Auch wenn Ostern noch etliche Wochen in der Zukunft lag.
Sie überlegte. Ihr Nachbar Antonio, der immer ihre Pflanzen versorgte und ihren Briefkasten leerte, wenn sie auf einer ihrer zahlreichen Geschäftsreisen war, würde sich sicher über so ein kleines Geschenk freuen. Und morgen Abend war sie bei ihrer Kollegin Marcia und deren Lebensgefährten Leo zum Essen eingeladen, da wären zwei so aparte Glücksbringer vielleicht ein nettes Mitbringsel.
Und wer konnte nicht ein wenig Glück im trüben Alltag gebrauchen? So eine hübsche bunte Pysanka würde sich sicher gut an ihrem Arbeitsplatz machen, und mit dem kleinen Karabinerhaken könnte sie sie an ihrer Schreibtischlampe befestigen.
»Gut, ich nehme vier Stück«, sagte sie. Oleksandr lächelte sie strahlend an. Sorgfältig wählte Liliana vier verschieden gemusterte Glücksbringer aus und bezahlte den lächerlich niedrigen Preis, den ihr der Missionar nannte.
Lächelnd verabschiedete Oleksandr sich von Liliana und auch Sergey verzog leicht die Mundwinkel nach oben und nickte ihr zu.
Liliana verstaute die Pysanky in ihrer Handtasche und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Ihre Mittagspause war fast vorbei, höchste Zeit, sich auf den Rückweg ins Büro zu machen. Sie erhob sich von ihrer Parkbank, die im Schatten unter einem der Bäume am Rande des Parque Tres de Febrero stand, und lief auf das Monumento de los Españoles zu, um die Avenida Libertador zu überqueren.

Oleksandr und Sergey setzten ihren Weg durch den Park fort. Einige Meter vom Parkweg entfernt saß eine Gruppe Jugendlicher im Gras. Einige rauchten, ein Mädchen reckte mit geschlossenen Augen ihr Gesicht in die Sonne, alle trugen lässige Sommerkleidung und Flip-Flops oder Turnschuhe ohne Schnürsenkel. Sergey steuerte auf die Jugendlichen zu, doch Oleksandr hielt ihn zurück.
»Die nicht«, sagte er.
Sergey sah ihn fragend an.
»Die sehen nicht gerade nach Geld aus«, meinte Oleksandr. »Lass uns lieber die da ansprechen.«
Er deutete auf ein älteres Ehepaar, das auf einer Parkbank im Schatten saß.
»Und warum gerade die?«, fragte Sergey.
»Schau dir doch nur mal seine Schuhe an. Das ist feinste Maßarbeit, ich will gar nicht wissen, was die gekostet haben. Und ihre Kleidung sieht auch nicht gerade billig aus.«

Sergey nickte und gemeinsam steuerten die beiden Missionare auf die Bank mit dem Ehepaar zu.


Eine weitere Leseprobe gibt es nächste Woche.

Die komplette Novelle gibt es überall dort, wo es eBooks gibt, z. B. bei amazon: 

Und für alle, die keine eBooks mögen: Die Taschenbuchausgabe ist in Vorbereitung.