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Mittwoch, 26. September 2012

The Poriomaniacs - Genua Rocks


»No I won't cry, now that it's over«. Debbie stimmte Final Curtain, den letzten Song des Sets an. Kurz legte sie den Kopf in den Nacken, um den schwarzblauen Nachthimmel zu bewundern. Was für ein Abend, was für eine herrliche Atmosphäre. Sie atmete tief ein und spürte den leichten Salzgeschmack des Meeres in der Luft. Direkt hinter der Bühne lag das Hafenbecken. Debbie und ihre Band The Poriomaniacs spielten beim legendären Goa Boa Festival, das alljährlich im Porto Antico von Genua stattfand.

»You flee the shadow's grace, but there's no escape«. Rechts neben Debbie stand ihre lang­jährige Weg  und Bandgefährtin Kyla, ganz in ihr Bassspiel vertieft. Wie bei jedem Konzert teilten die beiden sich als gleichberechtigte Frontfrauen der Band die Mitte der Bühne.


Das Drumkit von Schlagzeugerin Stella nahm den rechten hinteren Bühnenbereich ein und die linke Seite der Bühne war das Reich von Myra, der Leadgitarristin.


Als Myra ihr Solo anstimmte, ließ Debbie den Blick über das Publikum schweifen. Richtig sehen konnte sie nur die Fans in den ersten Reihen, die noch vom Schein­werfer­licht der Bühne erfasst wurden. Dahinter war das Publikum nur eine dunkle, formlose Masse. Doch diese Masse war in Bewegung: Die Leute tanzten, klatschten, sangen lauthals mit und nach jedem Song brach frenetischer Jubel los. Feiern könnense, die Genuesen, dachte Debbie.


Doch gerade, als sich Myras Solo dem Ende näherte und Debbie sich auf ihren Einsatz für die nächste Strophe vorbereiten wollte, sah sie aus dem Augenwinkel eine Bewegungswelle durch das Publikum schwappen, die nicht nach ausgelassenem Feiern aussah. Sondern nach Ärger. Debbie kniff die Augen zusammen und sah genau hin. Da wollte sich wohl jemand ganz nach vorne drängeln, und einige andere Fans hatten etwas dagegen. Doch nein - das war keine Drängelei! Das war eine Prügelei!


Knapp zwei Meter vor der Bühne drosch ein hochaufgeschossener, lattendürrer Mann mit langen Dreadlocks auf einen kleinen dunkelhaarigen Typen in weißem T-Shirt und schwarzer Lederjacke ein. Die Umstehenden begannen zurückzuweichen, so gut es ging.


Debbie überlegte, ob sie einen der vor der Bühne postierten Ordner aufmerksam machen sollte, doch ihr Einsatz nahte. Sie blickte zu Kyla, die musste das doch auch sehen? Aber Kyla war so in die Musik versunken, die sah gar nichts. Mit geschlossenen Augen, den Kopf in den Nacken gelegt, ließ sie die Finger über das Griffbrett gleiten, ganz in ihrer eigenen Welt.


Debbie öffnete gerade den Mund, um mit der letzten Strophe zu beginnen, da sah sie ein silbernes Aufblitzen. Erschrocken klappte sie den Mund wieder zu und ließ ihren Einsatz Einsatz sein.


Mit zwei schnellen Schritten war sie bei dem schräg vor ihr im Bühnengraben stehenden Security, schob ihre Gitarre auf den Rücken und kniete sich hin.


»Schnell! Der hat ein Messer - da drüben!«, brüllte sie dem Ordner ins Ohr. Bitte mach, dass der Englisch kann, schickte sie gleichzeitig in Gedanken ein Stoßgebet zum Himmel. Er konnte. Schnell gab er einige Anweisungen in das kleine Sprechfunkgerät, das er am Kragen seines dunkelblauen Poloshirts festgeklipst hatte und winkte seinem Kollegen am anderen Ende der Bühne zu. Als er mit einem Satz über die Absperrung sprang, verstummte die Musik. Die anderen drei Bandmitglieder hatten endlich bemerkt, dass Debbie ihren Einsatz nicht verpasst hatte, weil sie etwa den Text vergessen hatte, sondern weil etwas passiert war.


»Was ist los?«, fragte Myra, die immer noch auf dem Bühnenboden kniende Debbie. Die stand langsam auf, den Blick immer noch fest auf die beiden sich prügelnden Männer gerichtet. Der kleinere der beiden versuchte verzweifelt, den rechten Arm des anderen wegzudrücken, um so dem Messer auszuweichen. Der erste Ordner hatte sie mittlerweile erreicht, sein Kollege war ebenfalls auf dem Weg und nur noch wenige Meter entfernt. Doch noch bevor die Ordner eingreifen konnten, ließ der Kerl mit den Dreadlocks von seinem Opfer ab und floh. Brutal schubste und stieß er alle Konzertbesucher aus dem Weg, die ihm in die Quere kamen. Nach wenigen Momenten war er in der Masse untergetaucht und Debbie konnte ihn nicht mehr sehen.


»Eine Prügelei«, klärte Debbie Myra auf. »Und der, der da grad getürmt ist, hatte ein Messer.«
Während einer der Ordner die Verfolgung des Angreifers aufnahm, führte der andere Ordner das offensichtlich unverletzte Opfer aus dem Publikum.
»Wenigstens scheint nichts passiert zu sein«, meinte Myra.
»Aber was machen wir jetzt?«, mischte Kyla sich ein. »Spielen wir Curtain nochmal von vorne?«
»Das wird das Beste sein«, sagte Debbie und ging zurück zu ihrem Mikro.
»Sorry about this short interruption«, wandte sie sich an das Publikum, »aber es gab hier gerade eine Prügelei direkt vor der Bühne. Nachdem unsere großartige Security das zum Glück schnell gelöst hat, geht es jetzt weiter im Programm. Wir spielen noch einmal den letzten Song für heute Abend: Final Curtain. Diesmal hoffentlich ohne Unterbrechungen.«



»Und der hatte wirklich ein Messer?« Stella konnte es einfach nicht fassen.
»Wenn ich's dir doch sage«, erwiderte Debbie und fuhr sich mit einem Wattebausch über die Augen, um ihre silbern glitzernde Wimperntusche zu entfernen. »Das war nicht die übliche kleine Rempelei unter Fans, die es bei fast jedem Konzert gibt - da ging's richtig zur Sache!«
»Ich würde nur zu gern wissen, um was es ging«, meinte Stella während sie ihre halblangen Haare energisch mit einer Bürste bearbeitete. »Ich mein, normale Menschen haben ja schließlich nicht einfach so ein Messer dabei.«


Debbie stöhnte auf. »Oh nein, Stella, nicht schon wieder. Du hast zu viele Krimis gelesen und zu viele Filme gesehen! Das hier ist das wahre Leben - du kannst doch nicht ...«
Stella schnitt ihr das Wort ab. »Irgendeine Mafiasache vielleicht? Schließlich sind wir hier in Italien«, spekulierte sie.


Debbie schüttelte den Kopf und beförderte den Wattebausch mit einem gezielten Wurf in den Mülleimer. Dann drehte sie sich zu Stella um. »Stella, bitte ... du bist nicht Miss Marple.«
Gespielt gekränkt verzog Stella das Gesicht. »Na das will ich hoffen! Sehe ich vielleicht aus wie Margaret Rutherford?« Sie strich sich die leicht gewellten, dunkelbraunen Haare aus der Stirn und musterte sich im Spiegel. Dann schüttelte sie den Kopf. »No way - definitiv zu jung.« Sie schenkte Debbie ihr breitestes Grinsen. »Ich geh mich mal ein bisschen mit den Ordnern unterhalten.«


Sprach's und schlenderte aus der Garderobe, die markante Miss-Marple-Titelmelodie vor sich hinsummend.
Debbie starrte ihr sprachlos hinterher.



»Was trinkst du denn da?«, fragte Stella mit einem neugierigen Blick auf Debbies Glas und hievte sich auf einen der Barhocker.


Nach dem Konzert waren Debbie, Kyla und Myra gleich ins Hotel zurückgefahren und hatten sich noch auf einen Absacker in der Hotelbar getroffen. Da es nach diesem ereignisreichen Abend viel zu besprechen gab, war es nicht bei einem Drink geblieben.


»Das ist ein Woon Fizz«, antwortete Debbie. »Gin mit Absinth«, klärte sie die Schlagzeugerin auf, als sie nur einen fragenden Blick erntete.
»Hm, das klingt gut, das nehm ich auch.« Stella winkte dem Barkeeper zu.
»Und? Irgendwas Interessantes rausgefunden, bei deinem Verhör?«, stichelte Kyla.
»Oh ja«, antwortete Stella eifrig. »Ich hab mich mit dem Ordner unterhalten, der sich nach der Prügelei um das Opfer gekümmert hat. Das war sehr aufschlussreich.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Cocktail und schüttelte sich. »Heavy stuff«, meinte sie anerkennend zu Debbie. »Du kennst doch immer die besten Drinks.« Dann wandte sie sich wieder dem Thema zu. »Also der Security-Typ hat erzählt, dass der Kerl mit den Dreadlocks Vito Albaro heißt und schon öfter Ärger mit der Polizei hatte. Immer wegen Drogen und wohl auch schon mal wegen Körperverletzung.«


»Vito Albaro, das klingt wie aus nem drittklassigen Mafiafilm«, meinte Myra.
»Egal, der Typ ist auf jeden Fall ein stadtbekannter Dealer. Der Ordner meinte, eigentlich hätte der überhaupt nicht auf dem Festivalgelände sein dürfen, der hat fast überall in der Stadt Hausverbot.«
»Ja und? Ist die Polizei verständigt worden?«


Stella schüttelte den Kopf. »Scheinbar nicht. Der Security hat den Typen, der beinahe Vitos Messer in die Rippen bekommen hätte, gefragt, ob er Anzeige erstatten will, aber das wollte der nicht. Als der Ordner trotzdem die Bullen anrufen wollte, ist der Typ ganz schnell abgehaut. Vorher hat er wohl nur noch was gelallt, von wegen, er schulde Vito Geld, aber das wäre ja wohl noch lange kein Grund, so auszuflippen.«
»So ganz koscher scheint der ja dann auch nicht zu sein«, spekulierte Kyla. »Sonst hätte der doch wohl Anzeige erstattet.«


»Also meine Vermutung ist ja, dass das Ganze eine Drogensache war«, schlussfolgerte Stella. »Der kleine Typ in der Lederjacke hat Drogen gekauft und ...«
»Moment, nicht so schnell«, unterbrach Kyla sie. »Seit wann kann man bei Drogendealern anschreiben?«


Stella dachte kurz nach, Kyla hatte recht. Doch dann hellten sich Stellas Gesichtszüge auf. »Ich hab's! Der Kleine hat auch gedealt, aber halt nicht in großem Stil. Darum ist er auch abgehaut, als der Ordner die Polizei rufen wollte. Seine Ware hat er von Vito bekommen, hat sie vertickt und das Geld nicht abgeliefert ...«
Kyla winkte müde ab. »Ich hab genug von deinen wilden Theorien - ich geh jetzt ins Bett.«
Debbie leerte ihr Glas und stand ebenfalls auf. »Sieh's ein, Stella. Das hier ist kein Fall, in den du dein neugieriges Näschen stecken kannst. Das ist überhaupt kein Fall. Zwei Typen hatten Streit, aus welchem Grund auch immer, es wäre beinahe zu einer Messerstecherei gekommen, aber zum Glück ging die ganze Sache glimpflich aus und jetzt ist sie vorbei. Hörst du? Vorbei! Case closed.«


»Da draußen läuft ein Typ mit nem Messer rum«, maulte Stella vor sich hin. »Wer weiß, wen der als nächstes bedroht. Findest du nicht, der gehört aus dem Verkehr gezogen?«
»Doch klar, aber das ist nicht deine Aufgabe! Also vergiss die ganze Sache einfach.«



»Wow, kuck mal da! Das ist die Bühne, auf der wir gestern aufgetreten sind.« Begeistert drückten die Poriomaniacs sich die Nasen an der Glasscheibe platt.
»Ui, sieht die winzig aus von hier oben!«
»Und schau mal hier drüben, die Altstadt! Wahnsinn, die ganzen engen Gassen.«


Die Poriomaniacs nutzten ihren freien Tag in Genua für ein wenig Sightseeing. Nach einem späten Frühstück - schließlich musste man als echter Rock N Roller gründlich ausschlafen - waren sie mit einem Reiseführer bewaffnet losgezogen, um die Stadt zu erkunden. Da sie sich zuallererst im wahrsten Sinne des Wortes einen Überblick verschaffen wollten, hatten sie ihre Sightseeing-Tour mit einer Fahrt im Bigo, dem futuristisch anmutenden gläsernen Panoramaaufzug am Porto Antico begonnen. An einem schrägen weißen Stahlarm hängend, schwebte der runde Bigo 40 Meter steil nach oben und ermöglichte so einen herrlichen Rundumblick über die Altstadt Genuas und auf das Meer hinaus.


»Aber was ist denn da drüben für ein Aufruhr?«, meinte Stella plötzlich, während ihre drei Bandkolleginnen noch den Ausblick auf die Stadt bewunderten.
»Was meinst du?«, fragte Kyla und trat neugierig zu Stella. »Ohmegod, Feuerwehr, Polizei, Ambulanz, Gaffer, was ist denn da los?«
Jetzt drängelten sich auch Debbie und Myra neben den beiden an die Scheibe.
»Vielleicht ein Unfall«, meinte Myra und zuckte mit den Schultern.
Langsam begann der Bigo seine Fahrt nach unten.
»Was? Das war's schon«, meinte Debbie enttäuscht. »Für die paar Minuten kassieren die vier Euro?«



»Kommt, ich will wissen, was da drüben los ist«, drängelte Stella, sobald sie den Bigo verlassen hatten und zupfte Kyla am Ärmel.
»Mensch Stella, da wird einfach irgend ein armer Teufel ohnmächtig geworden sein ... Da müssen wir uns doch nicht auch noch hinstellen und glotzen!«


Doch Stella ließ sich nicht beirren und eilte schnurstracks auf die Menschenansammlung zu. »Seit wann rücken wegen einer Ohnmacht Feuerwehr und Polizei aus? Außerdem müssen wir doch eh in die Richtung, wenn wir ins Acquario wollen«, meinte sie.


Dieser Logik hatten die anderen drei nichts entgegenzusetzen, also folgten sie ihrer eifrigen Schlagzeugerin.
Nach links und rechts scusi murmelnd drängelte Stella sich durch die direkt am Hafenbecken versammelten Schaulustigen.


»Manchmal ist Stella wirklich einfach unmöglich«, murmelte Debbie Kyla zu. Trotzdem folgten sie Stella auf dem Fuße.
»Ach du meine Scheiße!« Stella blieb so abrupt stehen, dass Debbie in sie hineinrannte.
»Was ist denn los?«, fragte sie und spähte über Stellas Schulter.
»Eine Wasserleiche«, konstatierte diese knapp.
»Waaas? Eine Leiche?«, rief Kyla, drängelte sich an Debbie vorbei und spähte über Stellas andere Schulter.
»Ich seh gar nichts«, beschwerte sich Myra und balancierte auf den Zehenspitzen.


Gerade zogen zwei Feuerwehrmänner einen leblosen Körper aus dem Hafenbecken. Sofort eilten zwei Sanitäter mit einer Rollbahre heran und versperrten den Poriomaniacs den Blick auf das weitere Geschehen.
»Vielleicht ist der ja nicht tot, vielleicht ist der einfach nur ins Hafenbecken gefallen«, sagte Myra.
»Das glaube ich nicht, so wie die Feuerwehrmänner aus der Wäsche kucken, ist da nix mehr zu machen«, erwiderte Stella. »Da kuck, jetzt legen sie die Leiche auf die Bahre.«
»Och Menno, ich seh überhaupt nix«, beschwerte sich Myra erneut.
»Da gibt's auch nicht allzu viel zu sehen. Kleiner Typ in Jeans und Lederjacke, weißes Shirt, voller Blut ...«
»Moment mal, das kann doch nicht wahr sein!« Debbie drängelte sich an Stella vorbei, um besser sehen zu können. In diesem Moment begannen die beiden Sanitäter, die Bahre Richtung Ambulanz zu schieben, dabei mussten sie direkt an den Poriomaniacs vorbei. Debbie stellte sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick auf das Gesicht der Leiche erhaschen zu können. »Das ist der Typ von gestern«, schrie sie aufgeregt. »Das ist der Typ, auf den dieser Vito mit dem Messer losgegangen ist!«



»Hier haben Sie meine Telefonnummer, bitte rufen Sie mich an, falls Ihnen noch etwas einfallen sollte«, sagte comisario Garibaldi und drückte Stella seine Visitenkarte in die Hand.


Nachdem Debbie in der Leiche das Opfer der Prügelei von gestern wieder erkannt haben wollte, hatte Stella sofort einen der Polizeibeamten herangewinkt und ihm in ihrem mehr als dürftigen Italienisch zu verstehen gegeben, dass sie sachdienliche Hinweise anzubieten hätte.


Zum Glück sprach der die Ermittlungen leitende comisario hervorragend Englisch, so dass die Verständigung mit ihm kein Problem darstellte. Nachdem Stella eine Zusammenfassung der Ereignisse des vergangenen Abends und ihres Gesprächs mit dem Mitarbeiter der Festival-Security geliefert hatte, hatte comisario Garibaldi unverzüglich seinen Assistenten angewiesen, Vito Albaro zur Fahndung auszuschreiben. Die Poriomaniacs wurden gebeten, sich im Laufe des Nachmittags im Polizeipräsidium einzufinden, um ihre Aussagen zu Protokoll zu geben. Dann wurden sie zu Stellas größter Enttäuschung entlassen.


»Der hätte wenigstens im Gegenzug n paar Infos rüberwachsen lassen können«, maulte sie, als sie dem sich entfernenden comisario nachblickte. »Ob sie die Mordwaffe gefunden haben zum Beispiel.«
»Stella, bitte, das hier sind polizeiliche Ermittlungen, die finden nicht zu deinem Privat­vergnügen statt!«, tadelte Debbie sie und zog sie am Ärmel hinter die Absperrung aus Flatterband.
Kyla sah sich unschlüssig um. »Was meint ihr? Ich hab jetzt so überhaupt keine Lust mehr auf Sightseeing.«
»Also, ins Acquario will ich jetzt auf gar keinen Fall mehr«, meinte Debbie. »Der Anblick dieser frisch aus dem Wasser gezogenen Leiche hat mir gereicht. Mit Wasser bin ich fertich für den Tach.«
»Aber wenn wir schon einmal in Genua sind, sollten wir uns wenigstens die Palazzi dei Rolli anschauen ... UNESCO-Weltkulturerbe, so was kriegt man schließlich nicht alle Tage zu sehen«, meinte Myra.


Langsam schlenderten die Poriomaniacs die Hafenpromenade entlang und wussten nicht so recht, was sie mit sich anfangen sollten.
»Und wenn wir einfach ins Hotel zurücklaufen? Das ist ja nicht weit von hier. Wir ruhen uns noch ein bisschen aus, bevor wir heute Abend nach Hause fliegen«, schlug Debbie vor.
»Nein, das ist doch jetzt wirklich zu langweilig«, maulte Stella.


Sie näherten sich dem Museo del Mare und kamen an eine Stelle der Hafenpromenade, wo reihenweise fliegende Händler ihre Waren anboten.
»Huch, kuckt mal - garantiert echte Fendi-Handtaschen ... und Gucci ... und Prada ... und so viele«, meinte Debbie.


Wenn sich die vier Poriomaniacs bei einer Sache einig waren dann beim Shoppen. Und auch wenn sie normalerweise die Originale vorzogen, so waren ihnen doch die hier am Hafen feilgebotenen Taschen, Gürtel und Sonnenbrillen einen näheren Blick wert.


Langsam wanderten sie an den einzelnen Händlern vorbei. Kyla ließ sich fast eine Original-Sonnenbrille von Versace andrehen, aber nur fast.


Debbie studierte gerade interessiert eine riesengroße, dunkelrote Tasche mit unzähligen Fächern und Prada-Logo, als Stella sie plötzlich am Ärmel zupfte.
»Lass dir jetzt nichts anmerken«, zischte sie Debbie ins Ohr.
Die sah Stella verwirrt an. »Was ist denn los?«
»Kuck mal ganz langsam und unauffällig auf 14 Uhr«, flüsterte Stella. »Du hast doch gesagt, dieser Vito hätte Dreadlocks?«


Debbie nickte und sah auf. Nur wenige Schritte entfernt stand ein Mann mit langen verfilzten Dreadlocks, in ein intensives Gespräch mit einem der Händler vertieft. Allerdings drehte er Debbie und Stella den Rücken zu.


»Ich weiß nicht«, unwillkürlich flüsterte Debbie ebenfalls, »ich müsste den schon von vorne sehen.«
In genau diesem Moment drehte der Mann sich um. Debbie zog tief die Luft ein und wandte den Blick ab. »Das ist er, das ist der Kerl mit dem Messer!«


»Okay, jetzt ganz ruhig bleiben«, meinte Stella und fing an, in ihrer Handtasche zu kramen. »Du gehst die beiden anderen informieren, ich rufe die Polizei an.« Sie zog die Visitenkarte von comisario Garibaldi hervor. »Aber benehmt euch so unauffällig wie möglich«, gab sie Debbie noch mit auf den Weg.
Während Debbie Kyla und Myra ins Bild setzte, informierte Stella den comisario, dass sich der gesuchte Mordverdächtige Vito Albaro am Hafen, direkt vor dem Museo del Mare aufhielt.


»Er kommt sofort mit ein paar Kollegen her, sollte nicht lange dauern, der Fundort der Leiche ist schließlich nicht einmal einen halben Kilometer von hier entfernt. Solange müssen wir den Kerl im Auge behalten. Nicht dass der abhaut!«
»Glaubst du denn, er ist der Mörder?«, fragte Myra mit schreckgeweiteten Augen. »Dann ist der doch gefährlich!«


Stella zuckte mit den Achseln. »Auf jeden Fall ist er ein Verdächtiger! Gestern Abend hat er einen anderen Typ mit dem Messer bedroht und heute wird eben dieser Typ erstochen aus dem Hafenbecken gefischt ... Wäre doch ein sehr großer Zufall, wenn er nicht der Täter wäre.«


Nervös lehnte Myra sich gegen einen der Hafenpoller, dabei wäre sie beinahe über ein am Boden liegendes Fischernetz gestolpert.
»Huch, ist das riesig«, meinte sie und befreite den Absatz ihres linken High Heels aus den Maschen.
Stella ließ den Verdächtigen natürlich keine Sekunde aus den Augen. »Jetzt setzt er sich da drüben auf eine Bank und macht mit seinem Handy rum.«
»Hoffentlich bleibt der da sitzen, bis die Polizei kommt«, meinte Debbie.
»Und was, wenn nicht?«, fragte Myra leise.
»Na, dann nix wie hinterher natürlich«, erwiderte Stella voller Tatkraft.
Kyla rollte mit den Augen. »Stella, an dir ist eine FBI-Agentin verloren gegangen«, lästerte sie.
»Zum Glück, die Verfolgungsjagd bleibt uns wohl erspart«, meinte Debbie erleichtert. »Da drüben kommt der comisario mit seinen Kollegen.«


Schnellen Schrittes näherten sich comisario Garibaldi und zwei weitere Beamte.
Doch Debbie hatte sich zu früh gefreut. Als die Polizisten nur noch wenige Meter von Vito Albaro entfernt waren, sah dieser von seinem Handy auf, erblickte die Polizeibeamten und sprang auf.


»Oh Scheiße, nein, er hat die Bullen gesehen«, stöhnte Kyla auf.
»Der rennt direkt auf uns zu«, kreischte Myra entsetzt.
»Was machen wir denn jetzt?«, rief Debbie.


Nur Stella behielt einen kühlen Kopf. Kurz entschlossen packte sie das sorgfältig zusammengelegte Fischernetz, das zu ihren Füßen auf dem Boden lag. »Los, packt alle mit an!«, rief sie ihren Bandkolleginnen zu und rannte los, quer über die Hafenpromenade und direkt auf Vito Albaro zu.
Die anderen drei sahen sich einen Sekundenbruchteil verblüfft an, doch dann schnappten auch sie sich das Netz und rannten Stella hinterher.


Myra hatte recht gehabt, das Fischernetz war wirklich riesig. So riesig, dass die Poriomaniacs nur einen Teil davon tragen konnten, der Rest schleifte auf dem Boden hinter ihnen her.
Stella rannte zwei Meter vorneweg, dann kamen Kyla, Debbie und Myra, jeweils in einem Abstand von ungefähr einem Meter.


Als Vito Albaro die Poriomaniacs mit dem Netz sah, weiteten sich seine Augen vor Erstaunen. Hastig warf er einen Blick über die Schulter. Die Polizeibeamten waren nur noch knapp fünf Meter hinter ihm. Und wenige Meter vor ihm befanden sich die Poriomaniacs mit ihrem Fischernetz. Er versuchte, einen Haken zu schlagen, um rechts an dem Netz vorbeizukommen. Aber Stella zog blitzschnell nach links und sprintete vorwärts, dabei riss sie die Arme nach oben, um das Netz auf die größtmögliche Höhe aufzuspannen. Wenige Sekunden später prallte Albaro in das Fischernetz, versuchte aber sofort, das Netz von unten anzuheben, um darunter hindurchzuschlüpfen. Doch Stella rannte um ihn herum, ließ das Netz los und brüllte den drei anderen zu. »Los rennt um ihn rum, einwickeln!«


Das mit dem Einwickeln klappte nicht so ganz, da das Netz viel zu groß war. Nachdem Kyla, die Stellas Beispiel gefolgt war und einen Halbkreis rechts um Albaro herumgelaufen war, sich beinahe selbst im Netz verfangen hätte, warfen Debbie und Myra einfach den Teil des Netzes, den sie in den Händen hielten, über den Verdächtigen. Dieser kniete mittlerweile am Boden und bemühte sich ebenso verzweifelt wie vergeblich, das Netz zu zerreißen.


Schwer atmend stand Stella daneben und betrachtete zufrieden ihr Werk. Dann wandte sie sich comisario Garibaldi zu.
»Bitte, ihr Verdächtiger, fein eingepackt. Messer scheint er ja keines mehr bei sich zu tragen, sonst würde er wohl kaum versuchen, das Netz mit den Händen zu zerreißen.«
»Unsere Taucher haben mittlerweile ein Schnappmesser im Hafenbecken gefunden. Ich könnte jede Wette eingehen, dass wir daran nicht nur Blutspuren des Opfers, sondern auch noch den ein oder anderen brauchbaren Fingerabdruck von Albaro finden werden«, entgegnete comisario Garibaldi.


Beinahe belustigt betrachtete er Vito Albaro, der immer noch wild um sich schlug und sich dabei nur noch mehr in dem Fischernetz verstrickte. »Und wenn sich das bestätigt, kann ich nur sagen: Da ist uns der Mörder ja im wahrsten Sinne des Wortes ins Netz gegangen.«



»Der Fischer, dem das Netz gehört, fand das alles so überhaupt nicht lustig!«, prustete Kyla.
»Wie der plötzlich angerannt kam und wie ein Wilder auf den comisario eingeschimpft hat«, Stella bog sich vor Lachen.
»Zum Glück kann ich kein Wort Italienisch«, japste Debbie, »ich bin gottfroh, dass ich nichts verstanden habe!«


Die Poriomaniacs saßen wieder in der Hotelbar und nahmen noch einen Abschiedscocktail, bevor sie sich auf den Weg zum Flughafen machen mussten.
»Hoffentlich bekommt der sein Fischernetz von der Polizei ersetzt«, meinte Myra, »schließlich mussten die Beamten das ganze Netz zerschneiden, um an ihren Mörder ranzukommen.«


Dass Vito Albaro tatsächlich der Mörder war, stand mittlerweile fest. Nach seiner spektakulären Festnahme auf der Hafenpromenade, hatte Albaro ein umfangreiches Geständnis abgelegt.


Stella freute sich ganz besonders, denn sie hatte tatsächlich mit ihrer Theorie richtig gelegen: Das Mordopfer hatte ebenfalls gedealt und regelmäßig seine Ware von Albaro bezogen. Nur leider hatte er die letzte Lieferung noch nicht vollständig bezahlt und deswegen war es nicht nur beim Konzert der Poriomaniacs zu der Prügelei zwischen den beiden gekommen, sondern auch einige Stunden später am Hafen zu einem erneuten Streit, der tödlich enden sollte.


»Und ihr habt mich gestern Abend noch ausgelacht! Von wegen wilde Theorien«, triumphierte sie, nahm einen tiefen Schluck von ihrem Woon Fizz und schüttelte sich.


Donnerstag, 20. September 2012

Mittwoch, 19. September 2012

Spanisch lernen mit Janet Evanovich

Ich bin keine Freundin von tumbem Vokabel- und Grammatikauswendiglernen – das bringt eh nix. Am besten lernt man eine Fremdsprache, indem man so weit wie möglich in diese “eintaucht”, also am besten im Land selbst. Wenn es aber gerade nicht möglich ist, in Madrid die Gran Via entlang zu schlendern oder in Buenos Aires mit Straßenhändlern zu feilschen, sind ein spanischsprachiger Spielfilm oder ein Roman die nächstbesten Optionen. So machte ich es mir heute mit “Sobre La Pista” von Janet Evanovich und einem gut gespitzten Bleistift auf meinem Balkon bequem, da es mal wieder höchste Zeit ist, mein Spanisch aufzufrischen. Das letzte Mal, dass ich mich mit jemandem auf Spanisch unterhalten habe, ist auch schon wieder fast drei Monate her … Der Bleistift durfte mit auf den Balkon, um Wörter, die ich nachschlagen will, oder Begriffe, die mir besonders gut gefallen und die ich mir merken will, zu unterstreichen. Dank der relativ kurzen und schlichten, alltagssprachlichen Sätze ist es kein Problem dem Plot des Krimis zu folgen. Langweilig wird einem bei Stephanie Plum-Romanen sowieso nicht – beste Voraussetzungen also, um dranzubleiben. Dieses Buch wandert garantiert nicht nach drei bis vier mühsam zusammen buchstabierten Seiten für immer in die oberste Regalecke. Natürlich bleibt es bei einem Kriminalroman mit einer Kopfgeldjägerin (cazarrecompensas) als Protagonistin nicht aus, dass man auch etliche nicht ganz alltagstaugliche Begriffe kennenlernt. Doch im großen und ganzen findet man bei der Lektüre eines Krimis viele für einen Small Talk bestens geeignete Ausdrücke. Und die ein oder andere nützliche Verbform bleibt vielleicht auch noch hängen. Allerdings hoffe ich, dass ich den Begriff pistola de descargas eléctricas nie im echten Leben brauchen werde.

Dienstag, 18. September 2012

Gelesen: Der Koch von Martin Suter Ein tamilischer Meisterkoch sieht sich als Asylbewerber in der Schweiz gezwungen als einfacher Küchengehilfe zu arbeiten. Als er selbst diesen Job verliert, zieht er mit einer Ex-Kollegin einen Cateringservice der ganz besonderen Art auf: Sie servieren ein aphrodisisches 10-Gänge-Menü mit durchschlagender Wirkung. Mit dem Erfolg bleiben die Probleme nicht aus. Vor dem Hintergrund des Beginns der internationalen Finanzkrise im Jahr 2008 und dem in Sri Lanka tobendem Bürgerkrieg verwebt Suter so geschickt die einzelnen Handlungsstränge, dass der Roman eine wahre Sogwirkung entfaltet. Definitv ein Buch, das nicht wochenlang auf dem Nachttisch liegt, sondern in wenigen Tagen ausgelesen ist.