Als ich das erste Mal in
Buenos Aires war, hatte ich einen Flug gebucht, der erst spätabends in Ezeiza
landete. Als ich gegen halb 2 Uhr durch die Calle Florida zu meinem Hotel in
der Nähe der Plaza de Mayo lief, fiel mir eine Gruppe von Leuten auf, die
sorgfältig Kartons falteten und stapelten. Ich dachte, die arbeiten für die
Müllabfuhr und beachtete sie nicht weiter.
Doch dann fielen mir
nicht nur jeden Abend Leute auf, die sich ausschließlich mit Pappe, Altpapier
und leeren Flaschen beschäftigten, sondern ich bekam auch die richtige
Müllabfuhr zu sehen. Und deren Mitarbeiter tragen alle T-Shirts mit
Logo-Aufdruck.
Wer also waren diese
Leute, die da des nächtens große Mengen an Müll sortierten und alles, was für
sie interessant war, auf mehr oder weniger improvisierten Karren (oft aus
umfunktionierten Einkaufswagen aus dem Supermarkt) in fast schwindelerregende
Höhe stapelten?
Woher kamen sie und wohin
brachten sie den von ihnen so gründlich aussortierten Müll?
Schnell fand ich heraus,
dass es für diese Leute sogar einen eigenen Namen gab: „Cartoneros“ werden sie
genannt, weil es überwiegend Pappe und Altpapier sind, die sie einsammeln und
dann für wenige Centavos pro Kilo an Recyclingstellen verkaufen.
Jede Nacht bringen die
Cartoneros - teilweise arbeiten ganze Familien zusammen, um auf diese Weise
ihren Lebensunterhalt zu verdienen - mehrere Fuhren zu diesen
Recyclinghändlern, abgerechnet wird am Ende der Nacht.
Aufgrund der hohen
Inflation, die zurzeit in Argentinien herrscht, war es mir nicht möglich,
aktuelle Preise zu recherchieren, die für die verschiedenen Recyclinggüter
gezahlt werden. Die Zahlen, die ich in Pysanky in Buenos Aires nenne, sind alle
schon mehrere Jahre alt.
Doch da ich in meiner
Novelle auch den „tren blanco“ erwähnen wollte, beließ ich es dabei - die
Geschichte von Carmelita spielt also nicht in der Jetztzeit, sondern im Buenos
Aires von vor einigen Jahren (ca. 2005).
Der „tren blanco“ war ein
Sonderzug, der einige Jahre lang ausschließlich Cartoneros aus den sogenannten „villas
miserior“, den Elendsvierteln in den Randbezirken von Buenos Aires, in die
Innenstadt beförderte.
Diese Züge fahren
allerdings heute nicht mehr - vorgeblich aus Sicherheitsgründen (es wurden vor
allem alte, defekte Züge, teilweise ohne Türen und Fenster und mit Löchern im
Boden eingesetzt), aber der wahre Grund dürfte sein, dass Politiker die
Cartoneros aus dem Stadtbild von Buenos Aires entfernen wollten.
Wer heutzutage als
Cartonero sein Geld verdienen will, muss sich mehr denn je ins Zeug legen. Auch
Probleme mit den Müllfirmen und der Unehrlichkeit vieler Zwischenhändler
erschweren die Arbeit der Cartoneros mehr und mehr. Dies führte dazu, dass sich
in den letzten Jahren vermehrt Cartoneros zusammengeschlossen und ihre eigenen
kleinen Betriebe gegründet haben. Immer mehr dieser Recycling-Kooperativen
entstehen, die sich längst nicht mehr nur auf Pappe konzentrieren, sondern bis
zu 19 verschiedene Wertstoffe sammeln.
Doch auch
„Familienbetriebe“ wie den von Carmelita und ihren Geschwistern gibt es weiterhin.
Und natürlich ist beim Sammeln von recyclingfähigem Müll auch Kinderarbeit
keine Seltenheit. Carmelita ist also nicht ganz allein meiner Fantasie
entsprungen.
Genaue Zahlen über die Anzahl der Cartoneros in Buenos Aires gibt es nicht. Schätzungen zufolge dürften im Großraum der Metropole am Rio de la Plata jedoch zu den Zeiten des argentinischen Staatsbankrotts Anfang des Jahrtausends bis zu 100.000 Menschen vom Müllsammeln gelebt haben. Heute sollen es um die 30.000 sein.
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