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Leseprobe Bisswunden

Falls ihr euch lieber vorlesen lasst, habe ich ein kurzes Video für euch aufgenommen:


Direkter Link zum Video auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=XjLMKz-9nvY


1


Sorginak ordnete die sieben roten Kerzen in einem Kreis an, dann zündete sie eine nach der anderen an, während sie die magischen Worte rezitierte.

»Im Namen Alettos, Megeras und Tisifones. Mein Wille wird geschehen. Dein Wille wird geschehen. Für eine Seele und einen Körper. Für einen Körper und eine Seele. Mein Wille wird geschehen. Dein Wille wird geschehen.«

Als alle sieben Kerzen brannten, entzündete Sorginak die Räucherkerze und kniete sich auf den Boden. Der Duft von Jasmin verbreitete sich in den Schatten der Nacht.

Sorginak presste das mitgebrachte Foto an den nackten Leib und sprach sorgfältig exakt dreißig Mal die Beschwörung, welche die Person auf dem Foto für immer an sie binden sollte.

»Für Aletto gehorchst du mir. Durch Megera verdirbst du mich. Für Tisifone hörst du mich.«

Immer intensiver, immer leidenschaftlicher sprach Sorginak diese Worte, stellte sich dabei das Gesicht der Person auf dem Foto vor. Nicht so, wie es auf dem Foto abgebildet war, sondern mit Augen, die überlaufen wollten vor Liebe.

Liebe zu Sorginak.

Die kühle Nachtluft, die über ihre Haut strich, spürte sie ebensowenig wie die spitzen Steinchen, die sich in ihre Unterschenkel bohrten. Sie war vollkommen auf das Ritual konzentriert, die Außenwelt existierte nicht mehr.

Als die Kerzen heruntergebrannt waren, erhob Sorginak sich. Sie versuchte, die Kälte zu ignorieren, doch jetzt, da sie nicht mehr von der Magie umfangen war, begann sie zu zittern. Ihre Zähne klapperten. Rasch zog sie sich wieder an. Das Foto schob sie vorsichtig, um es nicht zu zerknittern, in eine Manteltasche.

Sobald sie wieder daheim wäre, würde sie dieses Foto unter ihr Bett legen. Dort würde es bleiben. 

Für immer.


2


»Ich glaube nicht an Geister«, sagte Amber.

»Ich doch auch nicht«, meinte Kate. »Ich erzähl dir nur, was ich in der Zeitung gelesen habe.«

»Die schreiben aber leider auch alles, wenn sie hoffen, dass ihnen das bessere Verkaufszahlen verschafft.«

»Das stand in Metro. Die ist kostenlos.«

Amber verdrehte die Augen. Manchmal war sie sich nicht so ganz sicher, ob Kate witzig sein wollte oder einfach nur pedantisch war. »Und was stand da noch drin?«

»Dass seit ein paar Wochen Friedhofsbesucher immer wieder tote Füchse finden. Das zusammen mit der unheimlichen Gestalt, die regelmäßig nachts in der Nähe des Friedhofs gesehen wird ...«

»Die behaupten, da geht ein Geist um, der Füchse tötet? Was ist das denn für ein Unsinn? Wahrscheinlich kommt morgen die Meldung, dass die Füchse alle an Tollwut gestorben sind.« Amber griff nach ihrem Weinglas. Gemeinsam mit ihrer Freundin Kate saß sie in einer Bar in der Russell Street in Covent Garden. Kate war nur für einige Tage in London, also hatte Amber sich nach ihren Wünschen gerichtet. Selbst hätte sie nie diese Bar ausgesucht, die ihrer Meinung nach überteuert war und auf eine Klientel aus Touristen und West End-Theaterbesuchern abzielte. Wenn es nach Amber gegangen wäre, säßen sie jetzt in dem bodenständigen Pub in South Hampstead, das Ambers Stammkneipe war.

»Das ist es ja eben. Die Füchse waren einfach nur tot, woran die gestorben sind, war nicht feststellbar. Zumindest nicht auf den ersten Blick.« Kate beugte sich über den Tisch und riss beide Augen weit auf. »Kennst du die Legende vom Highgate-Vampir? Damals war das alles ganz ähnlich.«

Amber klopfte mit den Fingerknöcheln ihrer Rechten auf die Tischplatte. »Vampir? Jetzt mach aber mal halblang.«

»Das war eine ganz irre Geschichte damals. Da haben sich zwei selbsternannte Vampirjäger regelrecht bekriegt, das war Anfang der Siebziger.«

Kate sah äußerst zufrieden drein, als sie ihr Weinglas an die Lippen hob und einen kleinen Schluck nahm.

»Vampirstorys aus den Siebzigerjahren? Das klingt sehr nach schlechter Promo für einen Hammer-Horrorfilm«, sagte Amber.

»War es aber nicht. Lies das mal nach, das ist eine wirklich interessante Story.«

Amber zog eine Augenbraue nach oben. Sie war sich nicht sicher, ob sie Kates Meinung in dieser Hinsicht teilte. Angestrengt überlegte sie, wie sie möglichst schnell das Thema wechseln könnte. Über Vampire, tote Füchse und Friedhöfe wollte sie heute Abend wirklich nicht reden. Schließlich sah sie Kate, die in New York lebte, nur selten. Aber wie so oft, wenn sie sich mit Kate lange nicht unterhalten hatte, fiel es ihr schwer, Themen zu finden, die für sie beide interessant waren.

»Was hast du heute so gemacht?«, trat sie die Flucht nach vorn an. »Wie sieht’s mit Jetlag aus?«

Kate rollte mit den Augen. »Ganz schlimm. Ich hab heute bis elf geschlafen und dann wusste ich kaum, wo oben und unten ist, als ich aufgewacht bin.«

Amber lachte, als Kate mit großen Gesten und malerischer Sprache beschrieb, was für einen unglaublichen Hunger sie gehabt hätte, dass es aber im Hotel um die Uhrzeit kein Frühstück mehr gab. Also habe sie sich schnell etwas übergezogen und sei zum nächsten McDonalds gelaufen.

»Da hatte ich dann eine wahre Fressattacke. Als ich zurück in meinem Hotelzimmer war und mich unter die Dusche gestellt habe, kam ich mir vor wie eine gemästete Gans. Ernsthaft, ich bin nicht mehr gelaufen, ich bin gewatschelt. Also hab ich anschließend nicht die U-Bahn genommen, wie ich es vorhatte, sondern bin den ganzen Weg bis Knightsbridge gelaufen.«

»Hast du dir heute schon die Ausstellung angesehen?« Amber wusste aus einer E-Mail, dass einer der Gründe, warum Kate, die in New York als Trendscout arbeitete, nach London gekommen war, der Besuch einer Ausstellung der japanischen Designerin Eiko Ishioka war.

»Ja, habe ich. Aber ich muss da noch mal hin, das heute war nur als erster Eindruck gut. Ich hatte so einen Brain Fog, das war nicht lustig. Ich war kaum aufnahmefähig. Also bin ich nach einer Stunde wieder gegangen und war bei Harvey Nicks, ein bisschen shoppen, dann noch Tee trinken bei Harrods. Aber dann hatte ich keine Lust mehr auf Rumlaufen und hab einen Bus zurück zum Hotel genommen.«

»Wollen wir dann morgen zusammen in die Ausstellung gehen? Die würde mich auch interessieren.«

Kate winkte ab. »Nein, das mache ich übermorgen. Das ist Arbeit, mit dir will ich was unternehmen, was Spaß macht.« Sie grinste Amber breit an. »Ich weiß auch schon was.«